Der Traumadiskurs in der Bundesrepublik. Vom Vietnam-Syndrom bis zur Posttraumatischen Belastungsstörung

Die posttraumatic stress disorder (PTSD) wurde in den späten siebziger Jahren von US-amerikanischen Psychiatern, Psychoanalytikern und einer Sozialarbeiterin im Kontext der Anti-Vietnamveteranenbewegung entwickelt und 1980 in das amerikanische Diagnosemanuel DSM-III aufgenommen.

Federführende Personen dieser Initiative, der Psychiater Chaim Shatan und die Sozialarbeiterin Sarah Haley, überschritten den psychoanalytischen Denkstil der siebziger Jahre, indem sie die Leiden der Vietnamveteranen nicht mehr auf in der Kindheit begründete Konflikte zurückführten, sondern deren Kriegserfahrungen in Vietnam als entscheidende Krankheitsursache zu sehen begannen.

Im deutschsprachigen Lexikon bildete sich in den 1930er Jahren zum ersten Mal neben dem somatischen auch ein seelischer Traumabegriff aus, welcher 1977 als „psychisches Trauma“ einen eigenständigen Eintrag erhielt. In den sechziger und siebziger Jahren galt das Traumakonzept zwar als eigenständige, aber dennoch marginale Deutungskategorie in Psychiatrie, Lexikon und Zeitungswissen.

Der Transfer der Diagnose als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in die Bundesrepublik erfolgte zu Beginn der neunziger Jahre, also rund zehn Jahre nach ihrer Etablierung im DSM. Erste Studien zu posttraumatischen Belastungs-störungen wurden nach dem Mauerfall mit ehemaligen politischen Häftlingen der DDR durchgeführt. Letztlich erwies sich ein Bündel an traumatherapeutischen Techniken als ausschlaggebend für den Erfolg des Traumakonzeptes in der deutschen Medizin. Die Mobilität dieser traumatherapeutischen Praktiken über den Atlantik und innereuropäische Grenzen hinweg war die wesentliche Voraussetzung für die Sichtbarmachung des Traumas und die Zirkulation des Traumakonzeptes. Mit der Psychotraumatologie wurde schließlich Mitte der neunziger Jahre ein neues medizinisch-psychologisches Forschungsfeld etabliert.

Welchen Einfluss hatte im weiteren der psychotraumatologische Diskurs auf die Selbstverhältnisse von Menschen und wie war dies im Spannungsfeld von
psychotraumatologischen Subjektivierungsangeboten, therapeutischer
Selbstoptimierung und individueller Wissensaneignung der Akteure und
Akteurinnen zu verorten? Als zentraler Modus der Einfindung in das Trauma erwies sich dabei für die Betroffenen die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen ihren zum Teil unerklärlichen aktuellen Leiden und den Erlebnissen der Vergangenheit. Das Trauma fühlen zu lernen hieß, seinen inhärenten Zusammenhang mit den vergangenen, jetzt traumatisch wirkenden Erfahrungen zu finden. Diese Verbindung wurde in Zeitungen, Fachbeiträgen, Arztaussagen und Fernsehsendungen stetig wiederholt und ermöglichte die breite Zirkulation des neuen Erklärungszusammenhangs. Insgesamt erschuf der psychotraumatologische Diskurs neue Formen des Person-Seins, indem er sich, wie auch die Betroffenen selbst, produktiv und normierend an der Gestaltung von traumatisierten Subjekten beteiligte.

Anhand dieser Geschichte treten verschiedene ineinandergreifende Entwicklungen zutage: Wissenschaftsgeschichtlich wird durch den einziehenden Denkstil von den verheerenden Folgewirkungen erfahrener Gewalt ein neues Forschungsfeld ausgehoben und die psychiatrische Anlage-Umwelt-Debatte neu aufgerollt. Die Betroffenen des Traumas, wie beispielsweise ehemals politisch Inhaftierte der DDR, Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen oder Betroffene von sexueller Gewalt ringen mit dem Staat um Anerkennung und Entschädigung ihrer Gewalterfahrung und erzeugen so ein neues Bild des Gewaltopfers. Kulturgeschichtlich zeichnet sich eine neue Aufmerksamkeit für die Schädigungskraft von Gewalterfahrungen ab, die durch die Durchdringung der Gesellschaft mit psychologischem Wissen angetrieben wird.  In Bezug auf Gewalterfahrungen beförderte die Rede vom Trauma als einer „normalen Reaktion auf ein abnormales Ereignis“ die Ausgrenzung von Gewalterfahrungen aus dem Bereich des Alltäglichen. Ein von Gewaltfreiheit geprägtes Selbstideal der deutschen und der westlichen Gesellschaft(en) allgemein war geeignet, dem Gedanken, dass Gewalt psychisch krank mache, in Form des Traumakonzeptes langfristig Raum zu geben.

Dissertation, vorranging verwendete Quellen:

  • Medizinisch-psychologische Fachliteratur
  • Lexika, Wörterbücher, mediale Quellen
  • Interviews, autobiographische Berichte

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