Repräsentationen deutscher Kolonialgeschichte in Namibia-Reiseführern von 1973 bis 2010

Namibia und Deutschland sind durch ihre gemeinsame Geschichte ab 1884 untrennbar miteinander verbunden. In diesem Jahr wurde das Gebiet des heutigen Namibias von dem deutschen Kaufmann Adolf Lüderitz in Besitz genommen und stand bis 1915 unter deutscher Fremdherrschaft.
Im Deutschen Reich gab es seinerzeit einen lebhaften Diskurs über Leben und Politik in dieser Kolonie und auch der Wahlkampf zu den Reichstagswahlen von 1907 wurde mit einem Thema aus dem kolonialen Namibia bestritten. Über den Kolonialkrieg von 1904 bis 1908 und den Ovaherero- und Nama-Genozid in der namibischen Omaheke-Wüste wurde ausführlich in der deutschsprachigen Presse berichtet.

Aufgrund dieser gemeinsamen Geschichte ist Namibia auch heute noch eine Projektionsfläche für den Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit ihrer Kolonialvergangenheit und ihrer historischen Verantwortung. Namibia-Reiseführer stehen vor der Aufgabe, die gemeinsame Geschichte von Deutschen und NamibierInnen und die unterschiedlichen Erinnerungen daran zu vermitteln. In ihnen wird Namibia mit seinen Besonderheiten ausgemalt, werden Routen skizziert, Sehenswürdigkeiten anempfohlen und ein Bild von der Bevölkerung des Landes gezeichnet. Gleichzeitig kolportieren die Reiseführer einen spezifischen Blick, der die namibische Bevölkerung in ihren Eigenschaften festschreibt und ethnisierte Differenzen auf hierarchische Weise etabliert – rassistisches Wissen in Reiseführern stellt ein virulentes Problem dar.

Viele Studien zu Rassismus konzentrierten sich darauf, rassistische Stereotype zu beschreiben, zu kategorisieren und in die Geschichte des Rassismus einzuordnen. Mit dem Aufkommen der Critical Whiteness Studies in den USA Mitte der 1980er Jahre und mit der Aufnahme und Adaption dieser Forschungsrichtung als Kritische Weißseinsforschung in Deutschland Mitte der 1990er Jahre wurde dagegen ein Perspektivwechsel angestrebt. Er nimmt neben den verschiedenen rassistischen Projektionen vor allem das rassialisierende Subjekt in den Blick. Whiteness bzw. Weißsein wird darin als Erkenntniskategorie verhandelt, die Hierarchisierungsprozesse und die Konstruktion der sozialen Position weiß in den Fokus nimmt.

In der Untersuchung von insgesamt 23 deutschsprachigen Namibia-Reiseführern ergaben sich spezifische Repräsentationen der deutschen kolonialgeschichtlichen Ereignisse, von Weißsein und der namibischen Bevölkerung. Dabei zeigten sich diese spezifischen Versionen immer mit dem zeitgenössischen Kontext korrespondierend. 1973, noch während der Zeit der südafrikanischen Besatzung Namibias, werden deutsche koloniale Machtansprüche im Reiseführer in sympathisierender Weise mit der Apartheid in Namibia geltend gemacht. Unter dem Eindruck des sich ankündigenden Machtwechsels in Namibia ist die weiße Suprematie im Reiseführer von 1989 verunsichert und in Erklärungsnot geraten. Dies führt zu einer, die kolonialen Gewaltverbrechen anerkennenden, aber auch ambivalenten Geschichtsdarstellung. 2001 erscheint im Augenschein kaum angetasteter weißer Privilegien in dem seit 1991 unabhängigen Namibia eine Re-Implementierung von kolonialer Größe, Nostalgie und Triumph möglich. Im Jahr 2007 schließlich werden die koloniale Symbolik und die kolonialen Erinnerungsorte über ihre Integration in die touristische Landschaft im Reiseführer revitalisiert und koloniale Gewaltverbrechen verleugnet. Dies geschieht trotz einer erstarkten postkolonialen Erinnerungsbewegung in Namibia, die die Widerstands- und Befreiungsgeschichte an die Stelle deutschkolonialer Denkmäler und Gedenkfeiern setzt, Entschuldigungs- und Entschädigungsforderungen gegenüber Deutschland ausspricht und dazu ansetzt, gerechte Landverhältnisse herzustellen.

In den kolonialgeschichtlichen Repräsentationen der Reiseführer werden eine Fülle von historischen Narrativen dargestellt, die vom völligen Verschweigen des Kolonialkrieges und deutschen Genozides in Namibia über eine distanzierte Erwähnung bis zu einer emotionalen und verantwortlichen Anerkennung desselben reichen. Repräsentationen, die allerdings an keiner Stelle in den Reiseführern fehlen, sind solche kolonialer Macht, kolonialer Wohltätigkeit und kolonialen Wohlstandes. Weiße Identitäten werden in allen Reiseführern über Macht und Machtverlust, über Existenzängste und Zukunftseuphorie, über die Reflexion und den Genuss eigener Privilegien verhandelt. In diesem Sinne können die analysierten Reiseführer als ein Austragungsort postkolonialer Machtbeziehungen verstanden werden, in denen die postkoloniale Situation Deutschlands über die ‚Deutsch-NamibierInnen‘ verhandelt wird. Das bedeutet, dass der Status Deutschlands in Namibia immer auch an den Status der weißen deutschsprachigen Minderheit in Namibia geknüpft ist. Die verschiedenen kolonialgeschichtlichen Repräsentationen wie auch weißen Narrative vermitteln den Übergang von einer machtvollen in eine egalitäre weiße Position nach der Unabhängigkeit Namibias, die von Ängsten, Zweifeln und Resignation geprägt ist. Sie beschreiben die Wende von einem kolonialen zu einem postkolonialen Machtzustand der ehemaligen ‚Kolonialmacht‘ Deutschland.

Magistraarbeit, vorranging verwendete Quellen:

  • Lajta, Hans (1973): Reiseführer Südafrika. Mit Südwestafrika. Mit 40 Illustrationen sowie 18 Plänen und Karten (Polyglott-Reiseführer), Polyglott-Verlag, 4. Auflage [1970], München.
  • Schneider, Karl-Günther und Bernd Wiese (1989): Namibia und Botswana. Kultur und Landschaft im südlichen Afrika (DuMont-Landschaftsführer), DuMont Buchverlag, Köln.
  • Kreutzkamp, Dieter (2001): Namibia. Reisen mit Insider-News (abenteuer und reisen), Mairs Geographischer Verlag, 2., völlig überarbeitete Neuauflage, München.
  • Schetar, Daniela und Friedrich Köthe (2007): Namibia. Handbuch für individuelles Reisen und Entdecken. Das komplette Handbuch für individuelles Reisen in allen Regionen Namibias – auch abseits der Hauptreiserouten (Reise Know-How), Reise Know-How Verlag, 5. aktualisierte Auflage [1996], Markgröningen.

Foto: Denis Barthel, Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0, Ausschnitt vom Foto